Was wurde über die Bedeutung der Mutterliebe nicht schon alles geschrieben. Dabei trägt die Liebe des Vaters genauso viel zur positiven Entwicklung eines Kindes bei. Manchmal kann sie sogar entscheidend sein. Eine Richtigstellung zum Vatertag.

Peter sitzt auf seinem Balkon in Berlin-Wilmersdorf in der Abendsonne und blickt auf die großen Pfützen unter seinen Füßen. Es war warm heute, sehr warm, und so hatte der Börsenmakler nach der Arbeit für seine kleine Tochter Hanna ein Planschbecken aufgepustet und auf den Balkon gestellt. „Als sie das gesehen hat, war sie Feuer und Flamme“, sagt er. „Sie hat mich gedrückt, eine Stunde aufgeregt mit ihrer Wasserpistole rumgeschossen und kam danach noch einmal, um mir einen Kuss zu geben.“ Ob die Fünfjährige ihm in der Kita etwas zum Vatertag basteln wird? „Ach ja, Vatertag!“ Der 37-Jährige lacht. „Den hatte ich gar nicht auf dem Plan.“

Das geht nicht nur Peter so. Noch immer hat der Muttertag eine andere, emotional aufgeladenere Bedeutung als der Vatertag. Die Beziehung zwischen Mutter und Kind steht im westlichen Denken traditionell im Zentrum, wenn es um das Wohlergehen und die Entwicklung von Kindern geht. Mütter bekommen das Lob und die Anerkennung für die Erziehung, aber auch Verantwortung und Schuld zugewiesen – je nachdem, wie der Nachwuchs am Ende so geraten ist.

Väter hingegen kamen noch bis in die späten 60er-Jahre hinein in der gesellschaftlichen Debatte nur wenig und in der wissenschaftlichen Debatte fast gar nicht vor. Wenn Väter für die Kinder da sind, so war der Tenor, dann ist das schön, und sicher auch irgendwie wichtig für die Entwicklung des Nachwuchses. Wie wichtig aber, das weiß man erst seit wenigen Jahren. Denn als die Forschung sich endlich der Väter annahm, stellte sich heraus: Väter prägen ihre Kinder nicht nur in dem gleichen Ausmaß, wie Mütter es tun, ihr Einfluss ist für bestimmte Entwicklungen sogar noch wichtiger als der der Mutter.

Einer der ersten Wissenschaftler, die sich der so lange vernachlässigten Väter annahmen, war Ronald Rohner. Der inzwischen emeritierte US-Psychologe baute das „Center for the Study of Interpersonal Acceptance and Rejection“ an der University of Connecticut auf und führte bereits in den frühen 70er-Jahren Studien zur Bedeutung des Vaters in der Familie durch. So fand er im Jahr 1975 in einer vergleichenden Studie an 101 verschiedenen Kulturen heraus, dass Kinder, bei denen der Vater mit im Haushalt wohnte, von der Mutter, aber auch von anderen Bezugspersonen mehr Akzeptanz und Wärme erfuhren. Seine Arbeit motivierte viele andere Wissenschaftler, seinem Beispiel zu folgen. So rückte die Rolle des Vaters für die Kindesentwicklung stärker in den Fokus der Forschung.

Im Jahr 2012, am Ende seiner beruflichen Laufbahn, veröffentlichte Rohner zusammen mit Kollegen aus 13 Nationen im „Personality and Social Psychology Review“ einen einzigartigen Überblick über alle Ergebnisse der vergangenen Dekaden. Egal ob es der Vater oder die Mutter ist, so das Ergebnis: Wenn ein Kind sich ungeliebt oder abgelehnt fühlt, steigt sein Risiko, später aggressiv und emotional instabil zu werden. Auch ein gering ausgeprägtes Selbstbewusstsein, ein Gefühl der Unzulänglichkeit und eine negative Sicht auf die Welt resultieren häufig daraus.

Das gilt für beide Elternteile gleichermaßen, wie Rohner betont. Allerdings zeigen mehr als 500 der Studien, die in die Veröffentlichung mit einflossen, etwas Erstaunliches: Kinder schenken der Ablehnung durch den Vater häufig mehr Aufmerksamkeit als der durch ihre Mutter. Die Forscher vermuten, dass Kinder ein recht sicheres Gespür dafür haben, welcher der beiden Elternteile in der Familie das Sagen hat. Häufig seien das in der Vergangenheit eher die Väter gewesen – und die Ablehnung durch sie habe daher mehr Einfluss auf die Entwicklung des Selbstwertgefühls gehabt. „In diesen Fällen wird dem, was der Vater tut und sagt, mehr Aufmerksamkeit geschenkt als dem, was die Mutter tut und sagt“, erklärt Rohner. „Und so gewinnt der Vater größeren Einfluss.“

Einige Studien ergaben darüber hinaus sogar, dass die Einstellung und das Verhalten des Vaters für manche Entwicklungen des Kindes grundsätzlich mehr Gewicht hat, egal, wie es um die Hierarchie in der Familie bestellt ist. Wenn Väter ihrem Kind gegenüber gleichgültig, ablehnend oder gar feindselig agieren, entwickeln diese überdurchschnittlich oft Verhaltensauffälligkeiten, depressive Störungen und werden drogenabhängig oder straffällig – und zwar auch dann, wenn die Mutter ihr Kind bedingungslos liebt und unterstützt.

Dreht man diese Befunde ins Positive, dann liegt in der Liebe des Vaters eine große Chance für die Entwicklung des Kindes. „Sich von seinem Vater geliebt zu fühlen sagt das Wohlbefinden und die Lebenszufriedenheit später besser vorher, als sich von seiner Mutter geliebt zu fühlen“, so Rohner. Wie eine Untersuchung des Psychiaters Raul Ramchandani vom Imperial College of London zeigen konnte, lässt sich dies bereits im ersten Lebensjahr eines Kindes nachweisen.

So waren in der Studie Kinder, deren Väter bereits eine intensive und liebevolle Beziehung zu ihnen führten, als die Babys erst drei Monate alt waren, im Alter von einem Jahr besser entwickelt und zeigten mehr soziale Kompetenz. Bei den Jungen war dieser Effekt noch etwas stärker ausgeprägt als bei den Mädchen. Der Grund für diesen starken Einfluss gerade auf das soziale Verhalten liege wohl darin, wie Väter mit ihrem Nachwuchs interagieren, vermutet Rohner. Der Umgang des Vaters mit seinem Kind unterscheide sich oft deutlich von dem der Mutter. „Wenn sich Väter mit ihren Kindern beschäftigen, tun sie das auf andere Weise“, erklärt Rohner. „Väter spielen eher auf körperlicher Ebene. Sie raufen sich mit ihren Kindern, fördern ihre Wettbewerbsbereitschaft und ihre Unabhängigkeit – und den Mut, Risiken auf sich zu nehmen.“

Auf Peter, zu dessen Familie außer Hanna noch der 13-jährige Patrick und seine Partnerin Steffi gehören, trifft diese Beschreibung komplett zu. „Ich bin der Part, der sehr viel Action mit den Kindern macht“, sagt er. „Ich werfe sie hoch, schleudere sie rum, und sie kämpfen oft mit mir.“ Aber er sei auch derjenige, der eher Nein sage und nicht möchte, dass seine Kinder zu behütet aufwachsen. „Ich biete nicht immer sofort meine Hilfe an, wenn mal etwas nicht klappt. Ich finde, die Kinder sollen sich ausprobieren, Fehler machen und es wieder versuchen. Wenn es dann immer noch nicht klappt, dann sperre ich mich natürlich auch nicht, zu helfen.“

Das dies ein guter Ansatz ist, zeigt eine Untersuchung von Wissenschaftlern der Brigham Young University in Provo im US-Bundesstaat Utah. Im „Journal of Early Adolescence“ berichten die Forscher, dass Kinder Ausdauer und Beharrlichkeit eher vom Vater lernen als von der Mutter. Väter, die ihren Kindern diese Eigenschaft erfolgreich vermitteln, seien warmherzig, zuverlässig und liebevoll, setzen aber klare Regeln und Grenzen, die sie ihren Kindern gut erklären konnten. Gleichzeitig seien sie gut darin, ihren Kindern ein altersgerechtes Maß an Selbstbestimmung einzuräumen.

Warum Väter in dieser Hinsicht wichtiger für die Kinder seien, konnten die Wissenschaftler in der Studie nicht beantworten. Ihre Vermutung ist, dass Vätern Durchhaltevermögen einfach etwas wichtiger ist als Müttern und sie deshalb bei ihren Kindern mehr darauf achten. Mütter hingegen konzentrieren sich den Forschern zufolge häufig mehr darauf, Eigenschaften wie Dankbarkeit und Höflichkeit zu vermitteln.

Darauf aber legt auch Peter großes Gewicht. „Mir ist wichtig, dass meine Kinder lernen, wie man sich in der Gesellschaft bewegt“, sagt er. „Dass man Bitte und Danke sagt, und nicht ‚Ich will‘ und ‚Gib her‘. Das möchte ich ihnen auf jeden Fall mit auf den Weg geben.“ Damit der Börsenmakler Zeit für das Gespräch hat, übernimmt heute seine Partnerin Steffi das Kochen. Denn sonst kocht Seher, der neben seinem Job den Blog „Herdzeit.de“ betreibt, jeden Tag selbst – und oft will die kleine Hanna dann mitmachen. „Dann stelle ich ihr einen Stuhl hin und erkläre ihr, was ich mache, lasse sie umrühren und manchmal auch was schnippeln.“

Noch vor 50 Jahren war ein solches Verhalten – täglich mit dem Kind zusammen am Herd zu stehen – für einen Mann reichlich ungewöhnlich. Ebenso ungewöhnlich erschien es damals, die Frage nach der Rolle des Vaters für die Entwicklung des Kindes zu stellen. Erst als Frauen begannen, dem Herd den Rücken zu kehren, wurde auch die männlich dominierte Forscherwelt aktiv.

Peter findet das ziemlich lustig. Dass Väter für das Lebensglück ihres Kindes genauso wichtig und genauso verantwortlich sind wie Mütter, sei doch wohl logisch. Und bevor es den italienischen Reissalat mit Rucola, getrockneten Tomaten und Mozzarella-Kugeln gibt, sagt er noch: „Wenn ich Hanna abends manchmal ins Bett trage und sie sich schlaftrunken an meine Schultern kuschelt, dann fühle ich mich unersetzbar.“

(Quelle Welt am Sonntag)